Her mit dem EU-Kassenwart

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August 18, 2011, Financial Times Deutschland

(Gastbeitrag von Klaus F. Zimmermann)
 

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Europa hat bereits einen Präsidenten und einen Außenminister – ein EU-Finanzminister ist daher längst überfällig.

Jede Krise birgt zugleich eine Chance, weil sie neues Denken und Handeln ermöglicht. Vielleicht gilt diese historische Erfahrung jetzt auch für die Länder des Euro-Clubs – wenn sie nämlich aus den aktuellen Turbulenzen und Erschütterungen der letzten Monate die richtigen Schlüsse ziehen.

Eine Erkenntnis ist jedenfalls unbestritten: Europa braucht – neben den strukturellen Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit, wozu insbesondere eine Liberalisierung seines Arbeitsmarktes gehört - in Zukunft eine bessere Koordinierung seiner Finanzpolitik. Hier muss es künftig mit einer Stimme sprechen. Die Abstimmungsprozesse gerade in Krisenzeiten dauern zu lange, sind zudem wenig transparent und zielorientiert. So schafft man kein Vertrauen auf den zunehmend nervös reagierenden Märkten.

Die jüngste deutsch-französische Verabredung, die Zusammenarbeit durch eine eigene Wirtschaftsregierung für die Euro-Zone zu intensivieren, ist halbherzig. Sie ist kaum der jetzt nötige „Befreiungsschlag“, da die Mitgliedsstaaten weiter ihre nationale Finanz- und Wirtschaftspolitik behalten. Jene, die lautstark Eurobonds ohne ein finanzpolitisches Gesamtkonzept fordern, arbeiten den Krisenspekulanten direkt in die Hände.

Immerhin: Mit den Absprachen von Paris steht das Ziel einer gemeinsamen Finanzpolitik endgültig ganz oben auf der europäischen Tagesordnung.

Die Eurozone braucht eine Instanz, die effektiver für Spardisziplin sorgt, als es das ursprüngliche Regelwerk ermöglicht, das Anfang 1992 in Maastricht beschlossen und im Stabilitäts- und Wachstumspakt ausformuliert wurde. Nach zehn Jahren zeigt sich: Die geltende Mechanik hat bei der Entstehung und der Bewältigung der Überschuldungskrise von Staaten wie Banken versagt.

Als neuen Anlauf hat deshalb hat der scheidende EZB-Präsident Jean Claude Trichet eine radikale Reform vorgeschlagen und die Idee eines Europäischen Finanzministers ins Spiel gebracht. Trichet hat bei der Verleihung des Internationalen Karlspreises am 2. Juni 2011 in Aachen neue Spielregeln für die Euro-Länder angeregt, um sie vor neuen Schuldenkrisen zu bewahren. Unter anderem schlug er vor, bei nachhaltigen Schuldenproblemen nationale Zuständigkeiten von den betreffenden Staaten auf die europäische Ebene zu übertragen - etwa Haushaltsentscheidungen. So könne sich ein gemeinsames Finanzministerium um die Haushaltspolitik und Wettbewerbsfähigkeit ebenso kümmern, wie um den Finanzsektor sowie die EU in den internationalen Institutionen vertreten.

Ein mutiger Gedanke, der zunächst eher reserviert aufgenommen wurde. Aber die Entwicklung der letzten Wochen gibt ihm immer mehr Recht. Wer glaubt, die Probleme etwa durch Schaffung eines komplizierten EU- Stabilitätsrates lösen zu können, in dem wiederum die Vertreter der einzelnen Regierungen sitzen und entscheiden, vergrößert lediglich den bestehenden politischen Marathon um eine weitere Slalomstrecke und unterschätzt die Dynamik der Entwicklung auf den Finanzmärkten, die grundlegend neue, rasche Antworten erfordert. Eine starke Wirtschafts- und Währungsunion braucht rasch funktionierende, effektivere Strukturen. Um diese haben sich die nationalen Egoismen viel zu lange herumgedrückt. Dies ist Teil der Ursache für die aktuellen Schwierigkeiten.

Deshalb sollte der Euro-Raum jetzt den Mut für einen wirklichen Befreiungsschlag aufbringen und ein europäisches Finanzministerium schaffen – oder wie man die neue Institution auch immer nennen mag. In ihr sollten vor allem folgende Aufgaben federführend gebündelt werden: Die Finanzmarktregulierung, eine schrittweise Harmonisierung in der Steuerpolitik, und vor allem ein Programm für eine nachhaltige Haushaltskonsolidierung. Auf allen diesen Kernfeldern geht es trotz aller Ankündigungen und Bemühungen nur schleppend voran.

Vor allem wäre eine solche zentrale Instanz das notwendige starke politische Gegengewicht zur Europäischen Zentralbank, die aktuell immer mehr unter Druck gerät, zur Krisen-Feuerwehr der Fiskalpolitik zu werden und durch politisch motivierte Interventionen Gefahr läuft, ihre eigentliche Aufgabe als unabhängige Hüterin der Geldwertstabilität aufs Spiel zu setzen. Dass aber die Grenzen zwischen Geldpolitik und Finanzpolitik immer mehr verschwimmen, trägt zusätzlich zur allgemeinen Verunsicherung der Märkte bei.

Deswegen braucht die Euro-Zone jetzt eine klare institutionelle Rollenverteilung. Hier die EZB, dort der europäische Finanzminister.

Nukleus hierfür könnte zum Beispiel die eigens für den Euro-Rettungsschirm in Luxemburg etablierte European Financial Stability Facility (EFSF) werden. Dem EFSF weisen die Regierungschefs der Euro-Zone mit guten Argumenten zunehmend wichtigere Aufgaben beim Schuldenmanagement zu. Daher wäre es konsequent, ihr auch das Monitoring bei den Staatsfinanzen einschließlich der Überwachung der Einhaltung der Stabilitätsregeln bis hin zu Sanktionsmechanismen zu übertragen. Jedenfalls dürfen diese Aufgaben nicht länger Spielball der politischen Interessen werden, wobei die gemeinsamen Vereinbarungen je nach Opportunität beliebig verbogen und missachtet werden können.

Die Entscheidung für ein solches Modell würde gerade jetzt eindrucksvoll die Entschlossenheit und Handlungsfähigkeit der europäischen Staaten trotz ihrer unterschiedlichen Interessen und Problemlagerungen demonstrieren.

Europa hat bereits einen gemeinsamen Präsidenten. Und inzwischen auch einen Außenminister, selbst wenn er aus protokollarischen Rücksichten nicht so heißen darf. Der nächste logische, ja überfällige Schritt ist nunmehr der gemeinsame Finanzminister der Euro-Länder, der einer starken und effektiven europäischen Institution ein Gesicht gibt. Das gibt ein klares Signal: Wir haben begriffen!

Eine solche Institution ist alleine zwar noch kein Allheilmittel zur Bewältigung der aktuellen Probleme, aber sehr wohl ein wichtiger Beitrag zu einer neuen krisenfesteren Architektur der Euro-Gemeinschaft. Denn nur durch funktionierende Entscheidungsstrukturen wird sie aus dieser gegenwärtigen tiefgreifenden Krise gestärkt hervorgehen.


Reprinted with permission.

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