Rekord bei Ausländern in Deutschland - Appell für Willkommenskultur

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07. März 2014, dpa

(Mit Stellungnahme von Klaus F. Zimmermann)
 

Noch nie lebten so viele Ausländer in Deutschland wie derzeit. Fachleute betonen die Chancen der Einwanderergesellschaft, fordern eine bessere Willkommenskultur und warnen vor unseriösen Debatten.

von Ira Schaible

Wiesbaden (dpa) - Fast zwei Drittel der Offenbacher Schüler sprechen zu Hause nicht hauptsächlich Deutsch. In Frankfurt am Main haben etwa 70 Prozent der Kinder im Vorschulalter einen Migrationshintergrund. In Berlin hat gut jeder dritte Schüler eine andere Herkunftssprache als Deutsch. «Wenn man in die Schulen guckt, ist die Diversität und Vielfalt, die wir haben, schon zu einer Normalität geworden», sagt Migrationsforscherin Vera Hanewinkel von der Universität Osnabrück.

Mehr als 7,6 Millionen Ausländer lebten Ende 2013 in Deutschland - so viele wie nie zuvor. Diese Zahlen aus dem Ausländerzentralregister hat das Statistische Bundesamt am Freitag veröffentlicht. Drei Viertel der Ausländer, die 2013 in die Bundesrepublik gezogen sind, stammten aus den EU-Mitgliedsstaaten.

Migrationsforscher Klaus F. Zimmermann vom Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA/Bonn) sieht darin vor allem eine «Reflexion der exzellenten Situation des deutschen Arbeitsmarktes» und warnt vor unseriösen Debatten. Deutschland müsse das Signal aussenden: «Wir freuen uns, dass Leute kommen», sagt der ehemalige Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. «Diese Wohlfahrtsstaatsdiskussion zu Jahresbeginn, die ja nicht von Fakten getragen war, schadet dem Land als Aufnahmeland enorm.»

Die Menschen aus den neuen EU-Beitrittsländern kämen hauptsächlich zum Arbeiten nach Deutschland, und sie hätten überwiegend die Absicht, zurückzukehren. «Das sind keine Dauerzuwanderer, selbst wenn wir das wollen», sagt Zimmermann. «Sie nutzen die Arbeitsmöglichkeiten bei uns aus, aber sie helfen uns gleichzeitig, die Arbeit zu machen.» Dies sei ein normaler Ausgleichsvorgang, der zur Europäischen Union (EU) gehöre. Wie ökonomische Beziehungen langfristig wirken könnten, zeige das Beispiel Türkei.

Allerdings: «Es kommen zu wenig Leute aus Südeuropa. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit in den Ländern sind es viel zu wenig», sagt Zimmermann. Trotz der langen Integrationsgeschichte seien die Barrieren bei Sprachkenntnissen, kultureller Offenheit und Kommunikation noch nicht genügend abgebaut.

Deutschland sei unterm Strich bei der Integration auf einem guten Weg, und es gebe inzwischen einen Konsens, dass Zuwanderung angesichts der alternden Gesellschaft und des Fachkräftemangels notwendig ist, sagt die Osnabrücker Wissenschaftlerin Hanewinkel. Einwanderung dürfe aber nicht immer nur unter dem Nutzenaspekt gesehen werden. «Sie ist Teil einer Gesellschaft, und eine ganze Generation wächst auch damit auf - für die ist es selbstverständlicher. Und wenn man vor Ort guckt, klappt Integration in der Nachbarschaft und das Zusammenleben auch.»

Hanewinkel sieht aber auch Nachholbedarf: Ängste müssten ernst genommen und Integrationskonzepte weiter ausgebaut werden. Dazu gehöre eine Willkommenskultur, zu der die Gesellschaft auch steht. Dies müsse sich in der Sprache spiegeln - so werde weiter von Zuwanderung statt von Einwanderung gesprochen. Notwendig sei auch die Vermittlung eines neuen Wir-Gefühls und die stolze Frage: «Wir sind ein Einwanderungsland, was können wir jetzt tun?»


Nachdruck mit freundlicher Genehmigung.

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