Zeitarbeit und atypische Beschäftigung auf dem Vormarsch

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Beschäftigungsformen jenseits des immer weniger repräsentativen „Normalarbeitsverhältnisses“ gewinnen zusehends an Bedeutung. Befristete Arbeitsverträge, Zeitarbeit, Minijobs, Niedriglohnbeschäftigung, Selbstständigkeit sind einige Ausprägungen dieser Auffächerungen der Beschäftigung. Insbesondere die Zeitarbeit ist in Deutschland auf dem Vormarsch und hat sich allein zwischen den Jahren 2000 und 2007 in ihrem Umfang nahezu verdoppelt. Gleichwohl spielt diese Beschäftigungsform entgegen der öffentlichen Wahrnehmung nach wie vor eine untergeordnete Rolle im Spektrum der Gesamtbeschäftigung. Lediglich 1,6 Prozent aller geleisteten Arbeitsstunden sind nach den letzten verfügbaren Daten in Zeitarbeit erbracht worden, womit Deutschland im internationalen Vergleich einen Platz im Mittelfeld einnimmt. Das zeigt eine aktuelle Arbeitsmarkt-Studie zum internationalen Vergleich atypischer Beschäftigungsformen, die IZA und Bertelsmann Stiftung gemeinsam erstellt haben.

Mit dem erleichterten Einsatz von Zeitarbeit durch die Reformen am Arbeitsmarkt sind neue Beschäftigungsmöglichkeiten entstanden, die allerdings selten eine Brücke in reguläre Arbeitsverhältnisse darstellen. Zeitarbeit ist in Deutschland längst nicht mehr nur ein kurzfristiger Flexibilitätspuffer für Unternehmen. Es hat sich mittlerweile vielmehr ein eigenständiges Beschäftigungssegment entwickelt, das für viele Arbeitnehmer die Hoffnung auf einen raschen Übergang in reguläre Erwerbstätigkeit jedoch bislang nicht erfüllen konnte.

Ein anderes Bild ergibt sich im Bereich befristeter Beschäftigung. Sie ist in Deutschland auf den ersten Blick relativ weit verbreitet. Beim Anteil der befristeten Beschäftigung an allen Arbeitsverhältnissen nimmt Deutschland mit knapp 15 Prozent im internationalen Vergleich einen Platz im oberen Mittelfeld ein. Ein Blick auf die Gründe für Befristungen relativiert freilich das Ausmaß dieser Beschäftigungsform in Deutschland. Berufliche Ausbildungsverträge machen deutlich mehr als die Hälfte aller Befristungen aus.
Zwar erscheint auch der Anteil von unfreiwilligen Befristungen von etwa einem Viertel recht hoch, es handelt sich dabei aber um den drittniedrigsten Wert im Vergleich von 23 europäischen Ländern. Vor allem in südeuropäischen Ländern ist der Anteil unfreiwilliger Befristungen mit über 80 Prozent ungleich höher, auch Frankreich oder die skandinavischen Länder weisen noch Werte zwischen 40 und 60 Prozent auf.

Eine deutsche Besonderheit stellt die geringfügige Beschäftigung in Form von „Minijobs“ in bestimmten Bereichen des Dienstleistungssektors dar. Dabei kommt der weitgehenden Abgabenfreiheit aus Sicht der Beschäftigten eine zentrale Bedeutung zu. Auch erlaubt sie den Arbeitgebern die Überwälzung eines Teils der Arbeitskosten. Wenig vorteilhaft schlagen formale Barrieren beim Übergang zu längerer Teilzeit- oder Vollzeitbeschäftigung zu Buche.

Die Niedriglohnbeschäftigung hat in Deutschland in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Dies kann mit der geringen und weiter abnehmenden Tarifbindung vor allem im privaten Dienstleistungssektor, den verstärkten Aktivierungsbemühungen von Transferbeziehern und mit der vermehrten Nutzung von Minijobs, Teilzeittätigkeiten und der Aufstockung von Grundsicherungsleistungen erklärt werden. Dagegen gibt es bislang keine empirischen Hinweise darauf, dass im Zuge der Arbeitsmarktreformen die Reservationslöhne von Arbeitslosen gesunken sind. Mittlerweile weist Deutschland eine auch im europäischen Vergleich ausgeprägte Lohnspreizung auf.

Regulierungsbedarf oder Laissez-faire?
Angesichts der durch atypische Beschäftigung gegebenen zusätzlichen Erwerbschancen, insbesondere im Dienstleistungssektor, wird die Notwendigkeit von Regulierungsmaßnahmen politisch kontrovers diskutiert. Die Bewertung fällt dabei entsprechend der eingenommenen beschäftigungs- oder sozialpolitischen Perspektive sehr unterschiedlich aus.

Eine restriktive Re-Regulierung ohne Berücksichtigung der Besonderheiten einzelner Tätigkeiten, Sektoren und Personengruppen würde die in der jüngeren Vergangenheit mobilisierten Beschäftigungspotenziale gefährden. Andererseits liefe eine Politik des Laissez-faire Gefahr, in den Unternehmen einen verstärkten Trend zur Ablösung regulärer durch atypische Beschäftigung zu erzeugen, der gesamtwirtschaftlich nicht gewollt sein kann. Erforderlich ist arbeitsmarktpolitisches Fingerspitzengefühl, für das die gemeinsame Studie von IZA und Bertelsmann Stiftung einige Hinweise liefert.
Bei der befristeten Beschäftigung besteht der Analyse zufolge wenig Handlungsbedarf, auch wenn die vermehrte Nutzung befristeter Verträge im öffentlichen Sektor als Nebenwirkung des besonders strikten Kündigungsschutzes in diesem Bereich anzusehen ist. Hier könnte ein mit der Betriebszugehörigkeit schrittweise wachsendes Maß an Beschäftigungssicherheit vertraglich organisiert werden. Allerdings kann dies die Problematik des Senioritätsprinzips beim Kündigungsschutz nicht entschärfen. Deshalb wäre an dieser Stelle ein Abfindungssystem vorzuziehen, das regelmäßige Beiträge des Arbeitgebers auf ein Ansparkonto des Arbeitnehmers fließen lässt. Bei Kündigungen gäbe es dann aus Sicht des Arbeitgebers keine Unterschiede in den Kosten je nach der Betriebszugehörigkeit des Gekündigten, während zugleich mehr Rechtssicherheit und Transparenz geschaffen würden.
Auf ähnliche Weise ließe sich ein Mehr an Fairness und Klarheit auch bei der Zeitarbeit erreichen, um der Tendenz zur Spaltung zwischen Rand- und Kernbelegschaften entgegenzuwirken. Eine Annäherung der Arbeitsbedingungen in der Zeitarbeit an die Entlohnung und die Arbeitsbedingungen der Kernbelegschaften sowie ein Zuwachs an Bestandssicherheit mit wachsender Verweildauer sind hier sehr wohl vorstellbar, ohne die wichtige Funktion der Zeitarbeit als Puffer für Auftragsspitzen in Frage zu stellen.
Es liegt überdies kein sachlicher Grund für die abgabenrechtliche Privilegierung von Minijobs als ausschließlich geringfügige Tätigkeit oder Nebentätigkeit vor. Vielmehr würde eine Abschaffung der Minijobs zugunsten einer auf Vollzeittätigkeiten ausgerichteten Aktivierungspolitik das Problem niedriger Stundenlöhne und die Problematik von Hinzuverdiensten in Teilzeitarbeit bei Beziehern von Grundsicherung (Arbeitslosengeld II) entschärfen, mehr Möglichkeiten zur Weiterbildung am Arbeitsplatz eröffnen und eine stärkere Mobilität in höhere Entlohnung erreichen. Dagegen erzeugen etwaige Kombilohnmodelle oder erweiterte Hinzuverdienstmöglichkeiten im SGB II kontraproduktive Wirkungen, da sie einerseits zu noch stärkerem Druck auf niedrige Löhne und andererseits zu zusätzlichen Risiken für die öffentlichen Haushalte führen. Selbstständige Erwerbstätigkeit neuen Typs ist nicht vollständig in die soziale Sicherung einbezogen. Es fehlt an der Risikovorsorge durch berufsständische Sicherungswerke, so dass im Fall der Erwerbslosigkeit ein Abstieg in die steuerfinanzierte Grundsicherung droht, der noch dazu bei ungenügender privater Altersvorsorge eine Transferabhängigkeit auch im Alter verursachen kann. Dies bürdet der Allgemeinheit hohe Risiken auf, die durch eine Pflichtversicherung für Selbstständige bzw. den obligatorischen Nachweis ausreichender privater Vorsorge aufgefangen werden sollten. Mit einer Politik der behutsamen Typisierung bislang „atypischer“ Beschäftigung lässt sich ein stabiler Kompromiss aus dem berechtigen Interesse an Flexibilisierungspuffern und dem ebenso berechtigten Interesse an einer kalkulierbaren sozialen Sicherung finden.
IZA Research Report Nr. 25
Beschäftigung und Niedriglohnarbeit
Werner Eichhorst (IZA)
Paul Marx (IZA)
Eric Thode (Bertelsmann Stiftung)
 
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